Dienstag, 1. November 2011

Missverständnisse

Das Beherrschen der Sprache des Landes, in dem man sich gerade aufhält, ist ein wichtiges Element der Völkerverständigung. Darüber dürften wir uns alle einig sein. Einen besonderen Stellenwert sollte die Landessprache aber für diejenigen haben, die nicht nur kurzfristig ihre kulturelle Neugier befriedigen möchten, sondern sich dauerhaft in dem fremden und fremdsprachigen Land niederlassen.
Nach jahrelanger Beobachtung meiner Mitmenschen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass sich die Sprachlerner - ebenso wie die Touristen - in verschiedene Gruppen einordnen lassen.
Zum einen sind da jene, die auch nach 30 Jahren im Gastland über die allgemeinen Höflichkeitsfloskeln nicht herauskommen. So wie der Flohmarktaussteller und langjährige Standnachbar, sprachlich gesehen Angehöriger DER Weltsprache, der immer wieder auf meine Hilfe zurückgriff, wenn es darum ging, eine Spanierin über den Verkaufspreis seiner Sammeltässchen zu informieren. 
Neben diesen Leuten, die aus mir unerfindlichen Gründen davon ausgehen, dass jedes sprechende Wesen auf Erden IHRE Muttersprache beherrscht, gibt es auch solche, die mit Feuereifer die Anfängerkurse I und II der örtlichen Volkshochschule absolviert haben und nun mit Freude ihr dabei erworbenes Halbwissen unter den Besuchern aus ihrem Heimatland verbreiten. Gerne erinnere ich mich in diesem Zusammenhang an die beiden älteren Damen, die sich auf gerade schon erwähntem Flohmarkt nach dem Preis einer gebrauchten Thermoskanne erkundigen wollten und bis dahin noch nicht mitbekommen hatten, dass ich deutsch spreche.
Während beide nacheinander den Deckel der Kanne mehrmalig auf- und wieder zudrehen, erteilt Dame Nummer eins der Freundin eine wichtige Lektion: "Wenn du nach dem Preis fragen willst, heißt das hier 'cuanta costa' ". Keine von beiden bemerkt meine amüsiert hochgezogenen Augenbrauen. Daher wendet sich die Wortführerin resolut an mich und wiederholt die gerade erteilte Lektion lautstark, damit auch jeder ihre Sprachkünste mitbekommt. Höflich, aber um sie nicht zu weiteren Absurditäten zu verleiten in deutsch, erhält sie von mir die gewünschte Auskunft: "Zwei Euro." Es folgt ein netter Austausch über die Vor- und Nachteile der Kanne und ich wage mich, sie auf ihren vorangegangenen Irrtum aufmerksam zu machen. Ich erkläre ihr, wie es richtig lauten muss, damit sie bei der nächsten Preisauskunft nicht erneut nach der Länge der Küste fragt. Ihre Reaktion fällt jedoch anders als erwartet aus. Sie funkelt mich empört an, schüttelt dann wissend den Kopf, um im nächsten Moment zu behaupten, ihre muttersprachliche Lehrerin habe es ihr genau so beigebracht und die werde es ja wohl wissen. Die Thermoskanne habe ich natürlich nicht verkauft.
Eine weitere weit verbreitete Annahme vieler Deutsche besteht darin, dass durch Anhängen von o oder a an ein einfaches deutsches Wort ein vollständiges Spanisches entstehe.
Zumeist sind die hervorgehenden Kreationen einfach nur sinn- und bedeutungslos. Am Beispiel der Wortneubildung einer Bekannten lässt sich allerdings erkennen, dass der sorglose Umgang mit einer Fremdsprache manchmal zu schamroten Gesichtern führen kann.
In Begleitung ihrer damals 16jährigen Tochter begibt sich jene Bekannte in den Supermarkt. Auf ihrem Einkaufzettel stehen zumeist Dinge, die ohne Sprachanwendung direkt aus dem Regal in den Wagen wandern. Der Posten "Putenbrust" erfordert allerdings einen Halt an der uns bekannten Fleischtheke. Geduldig wartet meine Bekannte, bis sie an der Reihe ist. Mit den Gedanken schon bei den restlichen Einkäufen strahlt sie die Fleischereifachverkäuferin an und bestellt "tres pechugas de puta, por favor."
Ihre Tochter japst nach Luft, bevor sie im Flüsterton ein lang gezogenes "Maaaaamaaaaa!!!!!" stammelt. Auch der Verkäuferin ist leichte Irritation anzumerken. Die Tochter meldet sich erneut zu Wort, noch leiser als zuvor: "Mama, du hast gerade drei NUTTENbrüstchen bestellt.".
So schnell wird durch eine einfache Änderung einer Endung aus einer deutschen Pute eine spanische Bordsteinschwalbe.

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